Vereinigung für Shaolin-Kampfsysteme und Zen-Kampfkunst e.V.

Sifu Stockem

Ganzheitliche Ausbildung

Wir sind davon überzeugt, dass eine sinnvolle Ausbildung nur durch ein ganzheitliches Training erreicht werden kann. Für die Ausbildung in den Kampfkünsten bedeutet dies die Vereinigung unterschiedlicher und insbesondere harter und weicher Systeme, die allzu häufig getrennt voneinander unterrichtet werden. Wer bereits eine Katze bei der Jagd beobachtet hat, wird zustimmen: In einem Moment gleitet sie auf leisen Pfoten anmutig durch das Gras um im nächsten Moment mit äußerster Härte zuzuschlagen. Aus diesem Grund beginnt der Anfänger schon früh die Ausbildung in sowohl weichen Kampfkünsten wie Tai-Chi als auch harten wie Karate oder dem chinesischen Nord-Shaolin-System.

Es erscheint zunächst widersinnig, sich nicht erst eine Kunst in besonderem Maße anzueignen. Es entspricht auch eher unserem Naturell, das zu üben, was uns leicht fällt und bei dem wir Erfolge verzeichnen können. Der Kampfkünstler übt sich jedoch gerade in seinen Schwächen, trainiert weiche Systeme, wenn harte leichter fallen und umgekehrt. Viele Jahre positiver Erfahrung können belegen, dass diese Kombination keineswegs hinderlich ist, wie man erwarten könnte. Es zeigt sich stattdessen, dass gerade die Vielfalt einen äußerst positiven Einfluss auf die Ausbildung ausübt. Das Erlernte ergänzt sich und sorgt für einen fortlaufenden gegenseitigen Ausgleich. Dies liegt auch daran, dass alle Kampfkünste gemeinsame Wurzeln haben und keineswegs einander so fern sind, wie oft behauptet wird.

Zu dieser Ganzheitlichkeit gehört im gleichen Maße die Ausbildung von Körper und Geist. Dabei erstrecken sich die Prinzipien von yin und yang auch in den geistigen Bereich: Einerseits wird das harte geistige Durchhaltevermögen gefördert, indem das Verschieben der eigenen Grenzen zu einer stetigen Herausforderung wird und auch mental fordernde Abläufe immer und immer wieder trainiert werden - manchmal über Stunden. Zudem wird die andauernde geistige Aufmerksamkeit verlangt, denn keine Technik kann ohne Bewusstsein ausgeführt werden. Andererseits wird der Geist fortlaufend gelöst, denn auch das Bewusstsein stellt eine Grenze dar. Niemals ist dies jedoch einem Ausschalten des Geistes gleichzusetzen. Es handelt sich vielmehr um bewusstes Unbewusstmachen, welches sich bis zu meditativen Formen steigert.

Shaolin-Karate

Das traditionelle japanische Karate bildet die Basis der Kampfkunstausbildung in der Vereinigung für Shaolin-Kampfsysteme und Zen-Kampfkunst e.V. In nur wenigen Techniken bündelt es einen Großteil der zu Grunde liegenden Prinzipien, die auf diese Weise konzentriert vermittelt werden können. Dabei profitieren Anfänger von der geringen Einstiegshürde, einer leichten Nachvollziehbarkeit der Techniken und einer einfachen Selbstkontrolle beim heimischen Training, während Fortgeschrittene die Perfektionierung ihrer Grundtechniken fokussieren können.

Einen wesentlichen Bestandteil des Karate-Trainings bildet die Kata, ein stilisierter Kampf gegen meist mehrere imaginäre Gegner. Die von Gichin Funakoshis Sohn entwickelten Taikyoku-Katas werden heute kaum noch trainiert - wohl auch, weil sie wenig spektakulär wirken. Dabei liegt gerade in ihrer stoischen Einfachheit die enorme Herausforderung, die sie an die Übenden stellen. Ihre Gestaltung ist derart einfach, dass sie keine noch so geringen Fehler zu kaschieren erlauben. Dadurch bieten sie Übendem wie Lehrendem ein besonderes Potential nachhaltiger Ausbildung. Auf diese Kata aufbauend durchläuft der Lernende nach und nach komplexere und längere Abfolgen, die überwiegend ebenfalls dem Shotokan entnommen sind. Zu der Perfektionierung der Technik im Stand tritt nun die Harmonie der Bewegung, die es zu meistern gilt. Den Ausbildungsstufen bis zum Schwarzgurt sind dabei jeweils ein bis zwei ausgewählte Kata des Shotokan-Stils zugeordnet.

"Wegen ihrer Einfachheit ist sie für Anfänger leicht zu lernen. […] Dennoch ist sie von so grundlegendem Charakter, dass Meister des Karate zu ihr zurückkehren und sie als die perfekte Übungskata erwählen." (G. Funakoshi über die Taikyoku-Kata)

Die von Sifu Stockem entwickelte Kata mit dem schlichten Namen Kumite-Sequenz führt den Übenden in fließendem Übergang in das chinesische Kampfsystem. Im Karate beginnend werden auf natürliche Weise zunehmend Elemente des Kung-Fu eingeflochten. Damit steht die Kumite-Sequenz selbst sinnbildlich für die Untrennbarkeit der Kampfstile.

Der Drachenstil

Als Fabelwesen vereint der Drache zahlreiche Tiere in seinem Körper. In der chinesischen Mythologie besitzt er den Leib einer Schlange, die Glieder und das Gebiss eines Tigers, sein Kopf ähnelt dem eines Wasserbüffels. Auf diese Weise vereint auch der Drachenstil die Eigenschaften, Bewegungsformen und auch Charaktereigenschaften verschiedener Lebewesen. Drachenstil Der Drachenstil wird über einen Ablauf trainiert, der manchmal auch als Drachenkata bezeichnet wird. Weil eine normale Turnhalle für die Schrittfolge nicht ausreicht, wird er üblicherweise in neun bis elf Teilstücken gelehrt, die durch unterschiedlichste Bewegungsformen führen: Schläge und Tritte, hohe Sprünge und Sprungtritte gefolgt von Rollen und Bodentechniken, kurze harte Techniken und weiche, ausladende Formen des Tai-Chi. Auch aus diesem Grund bedarf es vieler Jahre des intensiven Studiums, um den traditionellen Drachenstil, der einen weiteren Grundpfeiler des Nord-Shaolin-Systems bildet, zu meistern.

Pokkecks

Pokkecks

Die sogenannten Pokkecks bilden einen wesentlichen Pfeiler des Nord-Shaolin-Systems und unterscheiden sich grundlegend von dem verbreiteten Bild des Shaolin Kung-Fu. Die Bezeichnung Pokkeck wird auch als “perfektes Schlagen” wiedergegeben. In zahlreichen Abläufen, die der Schwierigkeit nach in drei Stufen eingeteilt sind, wird ein Kampf simuliert. Einem Angriff wird dabei mit etwa drei bis acht Gegenangriffen begegnet, die mit äußerster Präzision auf vitale Punkte des Gegners platziert werden. Um beim Training Verletzungen zu vermeiden, bedarf es daher einer entsprechenden Vorerfahrung der Übenden in den Grundlagen des Shaolin-Karate und einer enormen Konzentration sowohl des Angreifers als auch des Verteidigers. Auch aufgrund dieser geistigen Anstrengung stellt das traditionelle Training der Pokkecks selbst erfahrene Kampfkünstler vor eine große Herausforderung.

Waffentechniken

Schon zu Urzeiten, vor mehr als 2,5 Mio. Jahren, erkannte der Mensch, dass Waffen seine Verteidigungs- und Angriffsmöglichkeiten erweitern können. Dabei verlängern Waffen wie Stock oder Schwert auch die Reichweite des Menschen erheblich. Mit einer größeren Distanz zum Körpermittelpunkt fällt die Kontrolle dieser verlängerten Gliedmaße immer schwerer und erfordert besondere Konzentration. Eine Waffe ist somit keineswegs das Werkzeug des Schwachen, sondern entfaltet erst in den Händen des Geübten ihr Potential, ohne den Nutzer selbst zu gefährden. Aus diesem Grund ist eine fundierte Grundbildung in den waffenlosen Kampfkünsten für die Beherrschung bewaffneter Künste unerlässlich.

Waffentechniken Natürlich böte das Studium der Waffenkünste selbst genügend Material für eine ausschließliche, herausfordernde und jahrelange Ausbildung, wie sie in vielen Schulen angeboten wird. Stattdessen kann der bewaffnete Kampf aber auch als ein weiterer Baustein betrachtet werden, der zu einer ganzheitlichen Kampfkunstausbildung gehört. Insbesondere für den Fortgeschrittenen bieten die Waffentechniken zudem ein Training, welches positive Rückwirkungen auf den unbewaffneten Kampf zeigt.

Tai-Chi

Das chinesische Schattenboxen Tai-Chi-Chuan ist nicht nur in seinem Ursprungsland China sehr populär. Es wird vor allem wegen seiner positiven Rückwirkungen auf die Gesundheit der Übenden geschätzt und auch von älteren Menschen erfolgreich praktiziert. Dabei ist nicht zu vergessen, dass es sich auch beim Tai-Chi um eine sehr wirkungsvolle Kampfkunst handelt. Häufig wird die Herausforderung unterschätzt, die Tai-Chi an die Übenden stellt. Vielen Menschen fällt es schwer, sich vollkommen zu entspannen. Auch die Harmonie zwischen den Bewegungen der Hände und Füße sowie dem Atem, die Abläufe des Tai-Chi so fließend und leicht erscheinen lässt, erfordert intensives und geistig anspruchsvolles Training. Insbesondere in Kombination mit eher harten Kampfkünsten entfaltet sich die positive Wirkung des Schattenboxens. Wirkliche Entspannung gelingt häufig erst im Kontrast zur Spannung. Auf der anderen Seite sensibilisiert der Praktizierende seinen Körper und beugt Verspannungen vor. Auch der Drachenstil enthält einen Abschnitt, der als Tai-Chi-Form gelaufen werden kann.

Dju-su

Nicht immer ist es angebracht oder sinnvoll, einem Gegner mit Faust- und Fußtechniken zu begegnen. Zur Ergänzung der Shaolin-Kampfsysteme wurde daher in den 1950er Jahren das Dju-su entwickelt, um Fall-, Hebel- und Wurftechniken einer “sanften Kunst” der ganzheitlichen Ausbildung hinzuzufügen. Vergleichbare Techniken sind auch aus dem Jiu-Jitsu bekannt. Dju su Das moderne Dju-su erlaubt es, sich aus Umklammerungen der Handgelenke, Würgegriffen oder anderen tätlichen Angriffen rasch und ohne Kraftaufwand zu befreien. Durch die geschickte Ausnutzung von Hebelgesetzen und Beschränkungen des menschlichen Bewegungsapparates sowie der genauen Kenntnis unterschiedlicher Muskelgruppen und Schmerzpunkten können Schwächere leicht deutlich Stärkere überwinden.

Moderne Lehrkonzepte in alter Tradition

Der Ausdruck "Tradition" erweckt bei vielen Menschen einen arg verstaubten Eindruck. Es mag daher in besonderem Maße überraschen, dass gerade die traditionellen Konzepte des Kampfkunsttrainings in den letzten Jahren vermehrt von der modernen Didaktik “wiederentdeckt” und in ihrer Wirksamkeit bestätigt werden, ganz so, als seien sie verschollen gewesen. Auch aus diesem Grund legt die Vereinigung für Shaolin-Kampfsysteme und Zen-Kampfkunst e.V. höchsten Wert auf Tradition. In der Schule wird inzwischen wieder die integrative Ausbildung propagiert. In den Kampfkünsten fand hingegen nie eine Trennung von Könnensstufen statt: Anfänger und Fortgeschrittene trainieren gemeinsam und lernen voneinander. Jeder übt auf seinem persönlichen Niveau und bringt sich und andere weiter. Die Lernenden ahmen dabei Techniken nicht nach, sondern entwickeln sie Schritt für Schritt selbst. Heutzutage wird diese Vorgehensweise auch als cognitive apprenticeship, also geistige Lehrjahre bezeichnet. Unter der Betreuung des Lehrers bilden sich Fähigkeiten aus, die viel tiefer im Selbst verankert sind, als es eine reine Kopie vermöchte. Kommen neue Techniken hinzu, so werden sie nie losgelöst von ihrem Kontext betrachtet, sondern von vornherein mit ihrer Anwendung verknüpft und von ähnlichen Techniken abgegrenzt. Auf diese Weise entsteht ein Wissensnetz, welches nachweislich deutlich leichter zu behalten und auszubauen ist als solitäre Einzeltechniken. Diese Techniken werden auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt im Sinne eines Kurses an die Lernenden weitergegeben. Stattdessen durchlaufen die Trainingsteilnehmerinnen und -teilnehmer immer und immer wieder identische Übungsphasen, in denen sie das Niveau ihres Könnens steigern können. In der modernen Didaktik spricht man hierbei von einem Spiralcurriculum, welches durch gezielte Wiederholung Inhalte auf besondere Weise festigt.

Ziel des Trainings ist dabei nicht die Anhäufung einer möglichst großen Anzahl verfügbarer Techniken, sondern der Ausprägung fundamentaler Kompetenzen: Der effiziente Übergang von Entspannung zu Spannung in Sekundenbruchteilen, der gezielte Hüfteinsatz, die Präzision einer Technik. Diese Fähigkeiten sind allen Kampfkunstfertigkeiten gemein und in ihrer Beherrschung auf beliebige weitere Techniken übertragbar. Die Konzentration auf Weniges und die Genauigkeit der Ausführung hebt Tugenden hervor, die in unserer hektischen Zeit langsam wieder an Bedeutung gewinnen. So bietet das Kampfkunsttraining keine kurzfristige Herausforderung, die es zwischen zwei E-Mails zu bewältigen gilt. Stattdessen bildet es einen Ruhepol, etwas, das bleibt …